Im Schnee auf den Wurmberg
Ich starte meine Tour am Rande von Braunlage, wo die Wurmbergseilbahn emsig Skifahrer und Rodler den Berg hinaufschickt. Ich aber biege ab, hinein in den Wald, auf einen Pfad, der fast unberührt scheint. Hier, nur wenige Meter vom geschäftigen Treiben entfernt, empfängt mich eine andere Welt. Eine Welt der Stille, nur unterbrochen vom leisen Rieseln des Schnees von den schwer behangenen Tannenzweigen.
Der Weg führt mich zunächst sanft bergan, entlang der plätschernden Warmen Bode. Das Wasser gurgelt munter unter einer dünnen Eisschicht hindurch, die Ufersteine tragen weiße Mützen. Es ist ein beruhigender Anblick, ein friedliches Zusammenspiel von Kälte und Bewegung. Mächtige Buchen und Fichten säumen den Pfad, ihre Äste sind von einer dicken Schneeschicht bedeckt und biegen sich ehrfürchtig der Erde entgegen. Die Luft ist so klar und rein, wie man sie nur im Winter findet. Ich atme tief durch und spüre, wie die Anspannung des Alltags von mir abfällt.
Der knackige Anstieg zum Hexenritt
Nach einer Weile wird der Weg steiler, anspruchsvoller. Er windet sich nun in Serpentinen den Berg hinauf, und mein Puls beschleunigt sich. Das ist der Moment, in dem das Wandern zur Meditation wird. Schritt für Schritt, Atemzug für Atemzug. Die Zivilisation rückt in weite Ferne. Ab und zu kreuzt eine Loipe meinen Weg, und ich sehe Langläufer elegant dahingleiten.
Ein besonderes Highlight ist der Abschnitt, der als „Hexenritt“ bekannt ist. Im Sommer eine wilde Mountainbike-Strecke, im Winter eine anspruchsvolle Piste. Als Wanderer erlebe ich ihn von seiner mystischen Seite. Knorrige, schneebedeckte Bäume recken ihre Äste wie Arme in den Himmel, und ich kann mir lebhaft vorstellen, wie hier einst die Hexen in der Walpurgisnacht ihren wilden Tanz aufführten. Der Schnee dämpft jedes Geräusch, und für einen Moment fühle ich mich wie in einem Märchen der Gebrüder Grimm.
Ein grandioser Ausblick
Oben angekommen, öffnet sich der Wald und gibt den Blick frei auf das weite Gipfelplateau. Hier oben ist mehr los. Skifahrer ziehen ihre Schwünge, Familien lachen und die rustikale Wurmberg-Alm lockt mit dem Duft von heißen Suppen und Germknödeln. Ich gönne mir einen Moment des Innehaltens, suche mir einen Platz etwas abseits des Trubels und lasse die Szenerie auf mich wirken.
Der Ausblick ist schlichtweg grandios. Die gesamte Harzlandschaft liegt mir zu Füßen, eine unendliche, weiß gewellte Decke. Am Horizont grüßt majestätisch der Brocken, sein Gipfel oft in Wolken gehüllt, heute aber klar und zum Greifen nah. Es ist ein Gefühl von Freiheit und Erhabenheit, das sich hier oben einstellt. Ein Gefühl, das jede Anstrengung des Aufstiegs vergessen lässt.
Ein Abschied im Abendlicht
Für den Rückweg wähle ich eine andere Route, die mich über den ehemaligen Grenzweg führt. Hier, wo einst der Eiserne Vorhang Deutschland teilte, wandere ich nun durch ein friedliches Winterparadies. Die tief stehende Januersonne taucht die Landschaft in ein goldenes Licht, lange Schatten tanzen auf dem Schnee. Die Stille kehrt zurück, noch tiefer und eindringlicher als am Morgen.
Als ich wieder in Braunlage ankomme, sind meine Glieder müde, aber mein Herz ist voll. Diese Wanderung war mehr als nur eine sportliche Betätigung. Sie war ein Eintauchen in die pure, unverfälschte Schönheit des winterlichen Harzes, eine Reise zu mir selbst. Und ich weiß, es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass mich die stillen Pfade des Wurmbergs gerufen haben.