Frost auf dem Weißen Stein

Es ist früher Vormittag, als ich am Waldrand nahe Udenbreth aufbreche. Die Eifel liegt unter einer dicken Schneedecke, und mit jedem Schritt hinein in den Wald lasse ich die Welt ein Stück weiter hinter mir. Kein Auto, keine Stimmen, nur das gleichmäßige Knirschen unter meinen Sohlen.

Der Wind streicht kühl durchs Geäst, zupft an der Kapuze, flüstert Geschichten, die nur der Winter kennt. Die Landschaft wirkt entrückt, fast wie eingefroren in der Zeit. Als hätte jemand die Lautstärke der Welt heruntergedreht.

Kein Pfad wie jeder andere

Der Weg ist bekannt, aber nicht leicht zu lesen. Verwehter Schnee hat die Spuren verwischt, Wegweiser sind zu kleinen Hügeln geworden. Ich folge meinem Gespür, lasse mich führen von Kurven im Gelände, Lichtreflexen zwischen den Stämmen.

Jeder Schritt ist bewusst, kein Gedankenstrom, kein innerer Dialog. Nur ich, die Bäume und dieser stille Rhythmus. Und plötzlich fällt mir auf: Ich bin schon lange nicht mehr so bei mir gewesen.

Kein Gipfel, sondern ein Gefühl

Nach einer Weile öffnet sich der Wald, der Weiße Stein liegt vor mir. Kein zerklüfteter Fels, kein heroischer Gipfel, sondern ein leiser Höhepunkt. Sanft, fast unauffällig. Doch genau das macht ihn besonders.

Ich stehe still. Ringsum endlose Wälder, bleiche Himmel, das ferne Blau der Höhenzüge. Der Wind trägt Eiskristalle durch die Luft, Tannen neigen sich unter ihrer Last. Es ist nicht spektakulär. Es ist schlicht – und genau das trifft mich tief.

Hier oben geht es nicht um den Gipfel, sondern um den Weg. Um das Draußensein, das Atmen, das Sehen. Um einen Moment der völligen Gegenwärtigkeit.

Rückkehr durch eine andere Welt

Auf dem Rückweg ändert sich das Licht. Die Sonne kämpft sich durch, wirft silberne Schatten auf den Schnee. Ich gehe langsamer, lasse mich treiben. Ein Bach gluckert unter Eis, ein Bussard zieht seine Kreise. Ich entdecke Tierspuren – Reh vielleicht, oder Fuchs. Die Eifel lebt, auch im Winter. Nur leiser.

Der Schnee knirscht satter jetzt, der Wald wirkt offener. Ich merke, wie sich etwas in mir gelöst hat – nicht dramatisch, aber spürbar. Als hätte der Frost etwas eingefroren, das ich nicht mehr brauche.

Ein Weg, der nachwirkt

Die Wanderung auf den Weißen Stein ist keine Sensation. Kein Postkarten-Motiv, kein Höhenrausch. Aber sie hat Tiefe. Sie verlangt Hingabe, Stille, einen offenen Blick. Wer sich darauf einlässt, wird belohnt – nicht mit Adrenalin, sondern mit Klarheit.

Ich steige zurück ins Tal mit roten Wangen, kalten Fingern und einem seltsamen Frieden. Die Eifel im Februar ist kein Ort, der sich aufdrängt. Aber wer sie wirklich sieht, wird sie nicht mehr vergessen.