Über blühende Bergwiesen zum Fellhorn

Graue Wolken hängen über dem Stillachtal, als ich mich am frühen Morgen im Allgäu auf den Weg auf das Fellhorn mache. Die Tour führt mich durch ein blühendes Alpenparadies bis zum Gipfelkreuz an der Grenze zwischen Bayern und Vorarlberg. Vor mir liegt ein unvergesslicher Tag.

Die Luft ist frisch und mit etwa 15 Grad empfinde ich die Temperatur als ideal zum Wandern, es ist nicht zu heiß und nicht zu kühl. Kein anderer Wanderer ist in Sicht und ich genieße die Ruhe des beginnenden Tages. Entschlossen setze ich einen Fuß vor den anderen und starte meinen Aufstieg in Richtung Fellhorn, dessen Gipfel hoch über mir in den Wolken verborgen liegt.

Aufstieg durch blumenreiche Wiesen

Zunächst führt der Pfad durch dichten Bergwald. Doch bald lichtet sich die Vegetation und ich trete hinaus auf offene Almwiesen. Das Fellhorn ist bekannt als Blumenberg der Allgäuer Alpen, denn schon im Frühling färben unzählige Alpenrosen die Hänge rot. Im Spätsommer ist die große Blütenpracht zwar vorbei, aber am Wegesrand entdecke ich noch unzählige Enziane und violette Herbstblumen zwischen dem satten Grün. Vor meinem inneren Auge stelle ich mir vor, wie die Hänge vor einigen Wochen in einem rot-violetten Blütenmeer leuchteten. Auch so ist der Anblick der weitläufigen Flächen beeindruckend, fast baumlos erstrecken sich die mit Gräsern und Blumen überzogenen Gipfelhänge.

Während ich höher steige, weht mir ein würziger Duft von feuchter Erde und Alpenkräutern entgegen. Ein paar Schmetterlinge flattern über die Wiesen und ich höre das typische Pfeifen eines Murmeltiers aus der Ferne. Ein Zeichen, dass diese ruhigen Bergflanken auch wilde Bewohner haben. Hin und wieder quere ich kleine Bäche, die sich ihren Weg von den Gipfeln ins Tal suchen, und halte kurz inne, um das klare Wasser zu berühren.

Über Almweiden zur Schlappoldalpe

Nach einigen anstrengenden Steigungen erreiche ich eine Almweide, auf der mehrere braune Allgäuer Kühe grasen. Ihre Glocken läuten gemächlich und verleihen der Szenerie etwas Beruhigendes. Zwischen den Tieren schlängelt sich der Wanderweg hindurch, ein wahrhaft idyllisches Bild der Voralpenlandschaft.

Hier befindet sich die urige Alpe Schlappold und ich entscheide mich für eine kurze Pause mit einem kühlen Getränk. Beim Blick von der Sonnenterrasse der Hütte erkenne ich unterhalb den malerischen Schlappoldsee, der leicht schimmert. Der See liegt ruhig in einer Senke, umgeben von saftigem Grün.

Wolkenwanderung zum Gipfelkreuz

Je höher ich komme, desto mehr scheint mich die Wolkendecke zu umhüllen. Die Sicht wechselt ständig: Mal versperren milchige Schwaden den Blick, mal reißt die Wolkendecke auf und gibt spektakuläre Aussichten frei. Über mir taucht schließlich die Bergstation der Fellhornbahn auf, die Besucher in einer Kabinenbahn von der Talsohle nahe Oberstdorf bis fast auf den Gipfel bringt. Einige Wanderer, die mit der Gondel hochgefahren sind, mischen sich nun auf dem Pfad unter die heraufgestiegenen Bergfreunde.

Trotz der Nähe der Bahn bleibt der Gipfelanstieg ein kleines Abenteuer: Der letzte Abschnitt führt steil über Stufen und Schotter. Mit jedem erklommenen Meter steigt meine Vorfreude, aber der Weg zieht sich. Schließlich stehe ich vor dem hölzernen Gipfelkreuz des Fellhorns, das stolz in den Himmel ragt. Geschafft!

Ich atme tief durch und merke, wie sich auf über 2.000 Metern ein Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitet. In diesem Moment stört es mich nicht, dass die Sonne hinter Wolken steckt. Im Gegenteil, die ziehenden Nebelschwaden verleihen der Szenerie etwas Mystisches. Gelegentlich gibt die dichte Bewölkung den Blick auf die umliegenden Bergketten frei.

Ein atemberaubender Ausblick

Zu meiner Linken erkenne ich das österreichische Kleinwalsertal, tief unten im Halbdunkel der Wolken. Rechts von mir fällt der Hang ins bayerische Stillachtal ab. Direkt gegenüber ragt markant das breite Felsplateau des Hohen Ifen in den Himmel, flankiert vom karstigen Gottesackerplateau. Drehe ich mich nach Osten, entdecke ich in der Ferne schemenhaft die Silhouette des Nebelhorns bei Oberstdorf. Trotz der Wolken kann ich erahnen, welch gewaltiges Panorama mich an einem klaren Tag umgeben würde. Heute muss ich mich mit Ausschnitten zufriedengeben. Doch gerade dieses Wechselspiel von Verhüllung und Enthüllung macht den Reiz meiner Gipfelerfahrung aus.

Auf dem Gipfel verläuft zugleich die Grenze zwischen Bayern und Vorarlberg und so stehe ich mit einem Bein in Deutschland und mit dem anderen in Österreich. Dieser Gedanke lässt mich schmunzeln. Ich gönne mir eine ausgedehnte Verschnaufpause am Gipfelkreuz, trinke etwas und unterhalte mich mit einigen anderen Bergsteigern. Wir freuen uns gemeinsam über das erreichte Ziel und jeder genießt den Moment auf seine Weise.

Abstieg und erfüllter Rückblick

Nach einiger Zeit in luftiger Höhe trete ich den Rückweg ins Tal an. Für den Abstieg wähle ich denselben Pfad, den ich für den Aufstieg genutzt habe. Vorbei an der Schlappoldalpe und den blumigen Wiesen, die nun im Licht des frühen Nachmittags leuchten. Immer wieder halte ich kurz inne und blicke zurück zum Gipfel: Das Fellhorn zeigt sich jetzt teilweise wolkenfrei und scheint mir zum Abschied zuzuwinken. Unten im Stillachtal angekommen, bin ich erfüllt von den Erlebnissen des Tages.

Zum Abschluss kehre ich an der Talstation der Fellhornbahn noch in ein kleines Gasthaus ein, um den Tag ausklingen zu lassen. Bei einer heißen Tasse Kaffee auf der Terrasse lasse ich meine Wanderung Revue passieren: die einsamen Pfade am Morgen, die Blumen und Kühe auf den Almwiesen, der steile Endspurt zum Gipfel und das mystische Wolken-Panorama am Ziel.

Die Wanderung aufs Fellhorn hat all das geboten, was ich an den Bergen liebe: Naturgenuss, körperliche Herausforderung und unvergessliche Ausblicke. Trotz der Wolkenstimmung hatte die Tour ihren ganz eigenen Zauber.