Sommerwanderung auf den Biberkopf

Es gibt Berge, die haben eine gewisse Aura. Als würden sie einen schon aus der Ferne rufen. Der Biberkopf ist so einer. Schon sein Name klingt kräftig und wild. Mit 2.599 Metern ist er nicht nur der westlichste Gipfel Deutschlands, sondern auch ein echter Charakterkopf in den Allgäuer Alpen. Genau der richtige Ort, um im Juni in die Bergsaison zu starten.

Frühmorgens verlasse ich das Lechtal, das noch im kühlen Schatten liegt. Der Weg schlängelt sich erst gemütlich durch blühende Wiesen, wo sich Glockenblumen und Trollblumen um die besten Sonnenplätze streiten. Das Zwitschern der Vögel wird langsam leiser, je höher ich steige. Dafür übernimmt das leise Rauschen des Windes in den Latschen.

Blütenpracht und Vogelperspektiven

Der Juni ist ein Geschenk für Bergwanderer. Die Wege sind bereits schneefrei, aber die Frische des Frühlings liegt noch in der Luft. Überall blüht und summt es. In einer der Kehren bleibe ich stehen, atme tief ein und lasse den Blick schweifen: Das grüne Band des Lechtals liegt weit unten, darüber reihen sich Gipfel an Gipfel. Die Grenze zwischen Bayern und Tirol verläuft irgendwo dazwischen.

Der Weg wird anspruchsvoller. Steiler, schroffer. Ich mag diese Passagen, in denen man sich ganz auf den nächsten Tritt konzentrieren muss. Gedanken treten in den Hintergrund, der Rhythmus des Körpers übernimmt. Dann wieder ein kleiner Absatz, ein Blick zurück. Der Biberkopf zeigt sich nicht sofort, er bleibt lange verborgen, fast wie ein Versprechen.

Am Grat entlang

Kurz unterhalb des Gipfels erreicht der Pfad den Grat. Plötzlich öffnet sich der Blick – und was für ein Anblick! Links fällt das Gelände steil Richtung Lechtal ab, rechts zieht sich das Panorama der Allgäuer Alpen bis zum Horizont. Die Sonne steht inzwischen hoch, der Himmel ist wolkenlos. Ich treffe auf ein paar Gleichgesinnte, aber wir sind wenige. Der Biberkopf ist kein überlaufener Gipfel, dafür liebe ich ihn.

Die letzten Meter zum Gipfel verlangen noch einmal Konzentration. Es ist kein Spaziergang, aber genau das macht es besonders. Und dann stehe ich oben. Mitten auf der Grenze, die hier am Gipfelkreuz entlangführt. Der Blick reicht von der Zugspitze bis weit in die Silvretta. Ich lasse mich nieder, ziehe die Knie an und schweige. So fühlt sich Freiheit an.

Jenseits des Gipfels

Der Abstieg führt über die gleiche Route zurück. Ich nehme mir Zeit, achte auf die kleinen Dinge: ein scheues Murmeltier zwischen den Felsen, der Duft von Thymian am Wegrand, das ferne Läuten von Kuhglocken. Unten auf der Alm gönne ich mir eine Pause – ein kühles Getränk, die Beine im Gras, die Sonne im Gesicht.

Der Biberkopf hat mir viel gegeben: einen klaren Kopf, müde Beine und das gute Gefühl, wieder ein Stück gewachsen zu sein. Eine Wanderung, die nachklingt. Nicht nur in den Waden, sondern auch im Herzen.